Wenn ich an Deutschland denke, muss ich oft daran denken, wie still es dort im Vergleich zu China ist. Dabei definiere ich Stille hauptsächlich mit der Abwesenheit von Geräuschen, die man scheinbar nur in China zu hören bekommt. Manche sind ärgerlich und lästig, andere gar ekelerregend, aber gewiß haben alle das Potential einen Ausländer in China in den Wahnsinn zu treiben.
1. Spucken, Nase hochziehen & Rotzen
Nach den chinesischer Meinung ist es besser, auszuspucken, als es (was-auch-immer) drin zu halten. Auch wenn ich es sowieso für ekelig und extrem unhygienisch seinen Mitmenschen gegenüber halte, frage ich mich trotzdem, warum man für jedes Ausspucken so einen Riesenaufriss machen muss. Erst wird der Rotz aus tiefster Sohle hochgezogen, im Kehlkopf genüßlich die Tonleiter rauf- und runtergegurgelt, um dann mit einem lauten Spuckgeräusch lustvoll klatschend auf Pflaster (bestenfalls, bliebt sind auch offene Mülleimer) gerotzt zu werden. Offensichtlich ist dieser Vorgang in China eher gewöhnlich, für mich als Ausländer eher gewöhnungsbedürftig.
2. Roller, bzw e-Bike-Alarm
Als wäre die permanente Anwesenheit von Roller und Elektro-Bikes nicht ans sich schon irritierend, kommen diejenigen erschwerend hinzu, die Geräusche von sich geben, wenn man sich Ihnen nähert, als hätte man einen intergalaktischen Krieg auf fremden Planeten ausgelöst. Natürlich wird dieser Alarm bei einer Toleranzschwelle ausgelöst, die der Erschütterung des Herabfallens eines Haares in 3 Metern Entfernung entspricht. Das führt zu schrecklichen kaskadenartigen Dominoeffekten, wenn mehr als 2 dieser Roller in unmittelbarer Nähe zueinander geparkt werden. Manchmal kann man hören, wie sich eine Welle von Alarmen von einer Seite des Parkplatzes bis zur anderen ausbreitet und erst nach Minuten wieder zur Ruhe kommt.
3. Schulglocken, elektronische Glockenspiele und morgendliche Durchsagen
Gerade hat man eine schöne Wohnung bezogen und schläft wunderbear ruhig und nichts Böses ahnend im neuen Bett, bis man morgens um 7 Uhr von der Schule nebenan geweckt wird, von der man bisher nicht einmal wußte, dass sie existiert, und das hymnenartige elektronische Glockenspiel die Schüler auf dem Schulhof zur Versammlung ruft und ein cartoonartischer Singsang aus den Lautsprechern dröhnt, die wahrscheinlich zuvor als Nebelhörner auf einem 100.000-Tonnen-Tanker dienten. Unterbrochen wird das Ganze nur von Durchsagen des Schulleiters mit donnernder Stimme wie Zeus und einem Echo, das einem Stadionsprecher in einem amerikanischen Baseballstadion würdig wäre. Da ist man schnell dankbar für jeden Ferientag, an dem man den dringend benötigten Schlaf nacholen kann.
4. Bohrmaschinen und Hammer als Universalwerkzeug
Der zuvor erwähnte Schulsound kann einen in den Wahnsinn treiben, aber man kann ihn vermeiden, indem man die Wohnung mit Bedacht wählt. Ein anderer echter Schlaff-killer folgt einem aber wohin man sich auch wendet und scheint allgegenwärtig: die berüchtigte chinesische Bohrmaschine und unkontolliertes Gehämmere. Wer jemals mehr als einen Monat in China gelebt hat, weiß wovon gesprochen wird. Sie beginnen morgens um 5 Uhr und von dann an durchgehend wie die Buschtrommeln eines Eingeborenenstammes im südamerikanischen Urwald. Es scheint, dass man mit dem Erwerb eines Hammers und einer Bohrmaschine die Qualifikation aller handwerklichen Berufe in China auf einmal bekommt. Mit dem Hammer wird alles repariert. Alles. Batterie leer? Ein paar beherzte Hammerschläge lösen das Problem. Und Bohrmaschinen scheinen trotz ihres durchdringenden Lauts nicht ortbarbar zu sein. Sie rauben einem den Schlaf, aber man kann nicht herausfinden, woher das ständige Gebohre überhaupt kommt. Das Apartment, in dem der Bohrer zum Einsatz kommt, müsste aber der eigenen Einschätzung nach längst aussehen, wie ein schweizer Käse in einem Spaghetti-Sieb.
5. Schlürfen und Schmatzen
China hat eine lange kulinarische Geschichte und ist bekannt dafür, dass einige der schmackhaftesten Speisen auf diesem Planeten (angeblich) von dort stammen. Leider wird der Genuß Ihrer Lieblings-Nudeln in Ihrem bevorzugten Restaurant oft durch laute und unerbittliche Schlürfen und Schmatzen der anderen Kunden gestört. Um die Sache noch schlimmer und noch weniger erträglich für westliche Ohren zu machen, wird das Schlürfen und Schmatzen der Regel durch eine bunte Reihe heftiger Rülpsen abgerundet. Bon Appetit !
6. Handyklingeltöne und lautes Telefonieren
Warum müssen Klingeltöne von Handys in China so verdammt laut und nervig sein? In keinem Land der Welt werden Klingeltöne auf auf so hoher Laustärke eingestellt wie in China. Ob es sich um eine Low-Tech-Elektronik-Beat-Version von “Für Elise”, einem Old-School-Nintendo-Spiel-Sound oder einem schmetternd digital neu aufbereiteten chinesischen Liebeslied handelt, die Klingeltöne hier scheinen besonders gerne an Orten loszuschrammeln, die eher für ihre Stille bekannt sind. Im Bus, U-Bahn oder Buchhandlung, aber auch im Büro, im Aufzug oder im Kino ist man vor den gehörschädigenden Sounds nicht sicher – geschweige denn vor dem Besitzer des Handys, der bellend den Anruf entgegennimmt und in einer Lautstärke telefoniert, die vermuten läßt, dass das Handy unnötig ist, wenn der Gesprächspartner im Umkreis von 100 Metern zugegen ist.
7. Sajiao Behavior
Nicht unbedingt mein persönlicher, aber doch ein vielgehasster Sound. Haben Sie jemals eine zierliche Chinesin mit den Füßen aufstampfend, Schmollmund ziehend und mit einer infantilen Laune quietschen hören, während ihr Freund in der Öffentlichkeit peinlich berührt, versucht der Situation zu entkommen? Dieser Akt hat tatsächlich einen Namen und heißt “Sajiao” in Mandarin. Im Gegensatz zu den anderen lästigen Geräuschen gibt es kein Entkommen, und man sollte Vorsicht walten lassen, wenn man alleine zu Fuß in China unterwegs ist und die hochrisikobehafteten Bereiche für Sajiao wie Einkaufszentren, U-Bahnstationen und Boutiquen ansteuert.
8. Chinese-New-Year-Musik bei Carrefour
Liebes Carrefour-Management: Bitte ändern Sie chinesischen Neujahrsfest-Musik, bevor sie alle Ihre ausländischen Kunden aus Ihrer Niederlassungen in China vertreibt. Wenn Sie als Ausländer noch nicht bei Carrefour im Januar oder Februar eingekauft haben, machen Sie sich in diesem Monaten Ihr eigenes Bild. Die Musik ist mit mit Preissturz-Geräuschen, Mobbing-Trommeln und jammernden Schreien durchsetzt. Sie müssen diese Musik für die gesamte Zeit, die Sie einkaufen,laut aus allen Deckenlautsprechen schallend ertragen. Das ganze wird durchsetzt von montoton und mit mit quäkender Stimme vorgetragenen Anpreisungen für einzelnen Produkte von Promotion-Girls, die alle ihr jeweils eigenes Mikrophon-/Verstärker-Lautsprecher-Set bei sich tragen. Nur für die Akten: Ich komme mit traditioneller chinesischer Musik zurecht und habe nichts gegen Neujahr-Melodien. Ich hasse nur den Mist, den sie bei Carrefour rauf und runter spielen, und den man auch sonst an keinem Ort hört.
9. Hupende Auto- und Zweiradfahrer
Autofahrer – vor allem Taxifahrer – sind angehalten ausschlißlich zur Warnung zu hupen. Sie nehmen das wörtlich und hupen ständig vor sich hin, um auf die größte ihnen bekannte Gefahr aufmerksam zu machen: sich selbst! Ewig wird man für jeden blöden Sch**ß angehupt. Anstatt sich einen passablen Fahrstil zuzulegen oder einfach mal ruhig, besonnen und vor allem vorausschauend zu fahren, scheint man in China zu meinen, dass nur ständiges Gehupe eine Gefahr kompensieren kann. Natürlich tritt der umgekehrte Fall ein. Durch das ewige Gehupe schon total abgestumpft, reagiert kaum noch jemand auf ein Hupsignal, was wiederum zu noch längerem Hupen, noch lauteren Hörnern und noch penetranterer Benutzung selbiger führt. Aber auch Busse, Rollerfahrer, Motorradfahrer lieben ihre Hupen und mir kann keiner erzählen, dass die Fahrer von e-Bikes keinen Spaß daran haben, lautlos an ein wehrloses Opfer heranzuschweben, um dann dröhnend zu hupen und unter dem halb zu Tode erschockenem Opfer hindurchzufahren.
10. Müll- und Altmetallsammler, früher Scheren- und Messerschleifer
Durch die Straßen von Shanghai zieht eine Zunft auf Trikefahrern, die langsam mit einer mehr oder minder melodischen Glocke vor sich hinbimmelnd durch die Straßen kreuzen: früher waren es Scheren- und Messerschleifer, die noch lauthals dazu riefen, man solle seine Scheren und Messer rausbringen (ein aussterbender Beruf), heute sind es Altmetallsammler, die wie die deutschen “Klüngelskerle” darauf hoffen, dass man sofort mit seinem alten Heizkörper auf dem Rücken aus dem 30sten Stock runter auf die Straße rennt, um ihn dem Schrottsammler mitzugeben. Umd die wundern sich noch, dass ihr Job so mühevoll ist – naja, wenigstens können sie sich daran erfreuen, ihre Mitbürger mit lästigem sound zu nerven…
Früher dachte ich: “Man kann sich an alles gewöhnen!”. Ich habe viele Jahre neben einem großen Parkplatz eines Werkes gewohnt, auf dem es drei Mal am Tag Schichtwechsel gab. Bereits nach ein paar Wochen waren die Geräusche von an- und abfahrenden Autos aus dem Bewußtsein ausgeblendet wie das Ticken der Uhr im eigenen Wohnzimmer. Mit der oben genanten Geräuschkulisse wird mir das niemals gelingen – ich bin absolut sicher. Ich vermisse es an einem Sonntag durch den Wald zu spazieren, mitten auf dem Weg stehenzubleiben, zu lauschen und wirklich gar nichts zu hören – the Sound of Silence.
Die obige Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn sie als Expat/Ausländer in China einen noch nerigeren Ton oder Sound kennen, freue ich mich darauf, in den Kommentaren davon zu lesen!