Gammelfleisch in Deutschland? Nicht gekennzeichnetes Pferdefleisch in der Lasagne in der EU? Mit EHEC belastete Sprossen? Lebensmittelskandale gibt es wahrscheinlich überall auf der Welt, doch so massiv gehäuft und so schlecht aufgeklärte Verbraucher und so übel manipulierte Massen und so aggressive betrügerische und menschenverachtende gewissenlose Produzenten, die auch noch glauben, dass sie ganz besonders schlau sind, wie seit Jahren in China… – das sind einfach ganz andere Dimensionen. Das soll nicht heißen, dass Deutschland über seine Skandale auf hohem Niveau jammert, aber die Dreistigkeit und die Lebensverachtung, mit denen Geschäftemacher in China vorgehen, hat schon weitaus andere Ausmaße.

Beispiele gefällig?

Der Ruf von verseuchter Babynahrung und gepanschtem Milchpulver in China hat sich bis heute nicht von Skandalen erholt.

Der Ruf von verseuchter Babynahrung und gepanschtem Milchpulver in China hat sich bis heute nicht von Skandalen erholt.

Die Tatsache, dass Chinesen in Europa und vor allen in Deutschland die Milchpulvervorräte in den Drogerien und Discounter leerkaufen, ist ein erster Hinweis. Es gibt keine wirkliche Lebenmittelüberwachung in China und so war einer der größten Lebenmittelskandele der jüngeren Geschichte ganz besonders tragisch. Milchpulver für Babynahrung wurde mit Melanin versetzt, um einen höhreren Eiweißgehalt vorzutäuschen – gleichzeitig wurde das Milchpulver so völlig ungenießbar. Sechs Babys starben, 300.000 bekamen Nierensteine. Am Ende rollten Köpfe – sie rollen nicht wortwörtlich, aber es wurden zumindest Kugeln durchgeschickt – es gab ein Todesurteil. Aber wer in China lebt, weiß, dass das bei einigen Produzenten nicht zu wirklichem Einsehen führt, sondern zu der Einstellung:

Es ist erst ein Verbrechen, wenn man erwischt wird.

Und neue Produzenten stehen allzeit in den Startlöchern, um einzuspringen, wenn unliebsame Konkurrenz ausgeschaltet wird, um dann selbst mit den gleichen übelen Machenschaften zu beginnen. Bei den Konsumenten sitzt der Argwohn tief. Auch wenn die Regierung immer wieder die hoher Qualität des heimischen Milchpulvers in China beteuert, glauben tut das hier keiner mehr. Erst wurde der chinesen Bevölkerung in jahrelangen Kampagnen eingetrichtert (ich berichtete schon mal), dass das Füttern von Babys mit der Flasche unheimlich gesund und dem natürlichen Stillen mit der Brust weit überlegen sei, jetzt glaubt sie (die Bevölkerung) das, traut sich aber nicht mehr, Milchpulver aus Binnenproduktion zu kaufen – wahrscheinlich zurecht. Die Konsequenz: Wer es sich leisten kann (und das sind in den Ballungszentren in China mehr und mehr), kauft teure importiertes Milchpulcher aus Deutschland, Großbrittanien, den USA und Neuseeland.

Die Luftqualität wurde und wird in China schon längst den wirtschaftlichen Interessen geopfert. Feinstaubbelastung in den Großstädten, die zu 40% durch schlecht gefilterte Kohlekraftwerke in einem Energie verschwendenden China erzeugt wird, wird zwar in PM2.5* gemessen, aber nicht nach den hohen amerikanischen Grenzwerten bemessen, sondern nach eigenen chinesischen. Nach denen erscheint die Luft duchwegs deutlich sauberer und erst wenn man vor Dreck kaum noch was sehen kann, wie letzten Winter (2012/2013) in Beijing, gibt die chinesische Regierung zu, dass es ein temporäres klitzekleines Problemchen mit der Luftqualität in Großstädten geben könnte… (Sarkasmusmodus war beim letzten Satz eingeschaltet und auf hohe Stufe eingestellt).  Man kann nur den amerikanischen Standards folgen (und mir auf Twitter, wo ich die Luftverschmutzungswerte regelmäßig und automatisiert zu posten versuche) und bei “dicker Luft” nicht unbedingt Joggen  gehen. Übrigens in DE wird der Grad der Feinstaubbelastung in PM 10 gemessen, also nicht so fein, wie in USA oder China, aber die Grenzwerte für die 4 mal so großen Partikel liegen bereits so viel niedriger als in China, dass man davon ausgehen kann, dass die Luft hundertfach sauberer ist. Meines Wissens soll in Kürze ebenfalls auf PM 2.5 bei der Bewertung der Feinstaubbelastung umgestiegen werden.

320px-WildRat

Wer in Shanghai gerne Hot Pot isst und Lammfleich bestellte, hatte in den letzten 4 Jahren gute Chancen, einen dieser kleinen Plagegeitser zu verspeisen!

Und bezüglich Perdefleischskandals in DE möchte ich für diejenigen mit starken Nerven anmerken, dass man hier in Shanghai in den letzten 4 Jahren gute Chancen hatte Ratte, Fuchs und Nerz anders als in freier Wildbahn zu begegnen, wenn man lecker “Hot Pot” Essen war und Hammelfleisch bestellt hat. Ein unglaublicher Skandal, der zu Postings der Polizei auf weibo (chinesisches Twitter) führt, die helfen sollen das Ekelfleisch zu erkennen. Achtung: folgt diesem Link hier nur, wenn ihr starke Nerven habt, es könnte diesen oder jenen extrem ekeln,  weil in dem Bericht auch wirklich widerliche bilder sind. Ich übernehme keine Verantwortung für Ekel-Herpes an den Lippen.)

nongfu spring water - ein Killer?

Ist der Inhalt dieser Flasche mit Cadmium und Arsen verseucht?

Nun und dass es um die Wasserqualität in Shanghai nicht gut bestellt ist (hier schwimmen auch mal ein paar Tausend tote Schweine im Fluss, was nach Angaben der Regierung aber keinen Einfluss auf die Trinkwasserqualität hat. Ich muss den Sarkasmus wider einschalten: Natürlich hat das kaum Auswirkungen auf die Trinkwasserqualität, weil das Wasser im Fluss un den Kanälen bereits eine brackige Brühe ist, die weit wit von Trinkwasserqualität entfernt ist – da machen ein paar Tausend im Fluss verwesende Schweine auch nichts mehr), ist allgemein bekannt. Wer Wasser aus dem Hahn trinkt, schmeckt brackiges Sumpfwasser (zumindest hier in Pudong, aber beim Alter der Leitungen glaube ich nicht, dass die Wasserqualität in Puxi oder im Westen der Stadt auch nur einen Hauch besser ist). Aber jetzt kommt auch noch raus, dass selbst die Standards für Trinkwasser in Flaschen auf jahrzehntealten sowietischen Regularien beruhen. Das sagt jedenfalls die Beijing News.

Ich zitiere Zitate:

 These decades-old standards do not include tests in many essential health categories, according to South China Morning Post:

According to these arcane regulations, China’s national health inspectors do not test bottled drinking water for acidity, or pH level, or for substances including mercury and silver.

More than five times more indicators are used to test running water than bottled drinking water, the paper said.

“Bottled drinking water regulation is lagging behind,” Wang Xiuyan, an adviser on mineral water for the Beijing Mining Industry Association, told the paper. “We should follow international standards.”

Water drinkers (see: everyone) may particularly want to avoid Nongfu Spring brand, which was specifically cited in an exposé by the Beijing Times for having a high concentration of arsenic and cadmium. Beverage-seekers would also do best to avoid “Eastern Bloc Springs” or “Gorbachev’s Tears”.

Um es nochmal klar zu sagen: Nongfu Spring haben eine relative hohe Konzentration von Arsen und Cadmium, Eastern Bloc Springs und Gorbachev’s Tears sollte man auch vermeiden – zumindest gemäß der Empfehlung der Beijing Times.

Zahlreise Ketten bieten Organic Food (Bio-Lebensmittel), doch niemand entwickelte Regeln und Standards, was “organic” wirklich für welches Lebensmittel bedeutet und so übertreffen sich diese Ketten ebenfalls hauptsächlich in der Häufigkeit der Skandale, in die sie verwickelt sind. In Deutschland wirft man der Regierung oft “Überreglementierung” und “Definitionswahn” vor, aber hier in China sehe ich, zu was skupellose Geschäftemacher sich verführen lassen, wenn sie einen höheren Preis verlangen können. Das schert die einen Dreck, Faking und Counterfeiting hat eine lange und große Tradition in China und viele haben nicht mal ein schlechtes Gewissen, sondern bezeichnen ihr Vorgehen als besonders schlau. Es ist aber trotzdem nichts anders als Betrug. Produzenten wie Tony’s Farm bieten ihr Genüse zu hohen Preisen in der Stadt denjenigen an, die s sich leisten können. Bisher gab’s dort noch keine Skandale (oder sind keine öffentlich geworden?) und man kann sich bei einem Besuch “auf dem Lande” von der Qualität überzeugen. Aber den Antworten auf Fragen wie “Was, mit was und wie wird gedüngt?” oder “Werden Pestizide eingesetzt?” wird man auch nach dem “in-die-Augen-schauen-und-hoffen”-Prinzip glauben müssen, denn chinesische (und besonders die Joint Ventures mit ausländischen Firmen, die erst miese schrieben, dann aber später auf geheimnisvolle Weise komplett in chinese Hand gerieten und heute plötzlich ein lukratives Geschäft sind) stellen sich gerne ihre Zertifikate selber aus, oder benutzen Zertifizierungen, die einen Mindestqualitäts-Level sichern sollen (z.B.: ISO 9001), die schon jahrelang nicht erneuert wurden oder sie erzählen schlicht und ergreifend Sche**e bezüglich der Qualität ihrer Produkte. Übrigens: Vor kurzem wurde bekannt, dass viele hohe Parteimitglieder eigene Farmen und Bauernhöfe weit außerhalb der Städte betreiben und ihr Gemüse selber ziehen (lassen). So geht’s natürlich auch.

Die chinesische Regierung reguliert selten, die Polizei greift nicht ein, Behörden und Beamte sehen weg, wenn der “Rote Umschlag” zum chinesichen Neujahr dick genug ist und “persönliches Netzwerken” geht oft mit Begriffen wie “Beziehungs-Gebühr” einher.

Fazit – Alternativen?
Was kann man tun? Die Antwort ist eigentlich einfach: In allerletzter Konsequenz kann man China nur mit dem Gedanken “Lass sie doch machen, was sie wollen. Man kommt sowieso nicht dagegen an.” verlassen. Wer hier lebt und arbeitet, versucht sich zu arrangieren und möglichst unbelastetes (und traurigerweise überteuertes) Essen zu kaufen, bei dem er die Quellen kennt. Ich verlasse mich gerne auf die deutsche METRO-Gruppe, aber ich befürchte die lebt hier auch von ihrem guten Ruf und handelt aber mittlerweile nach Prinzipen des chinesischen Managements. Oder man kann versuchen, es selber anzubauen (wobei man dann erstmal unbelastete Erde braucht und einen Raum, wo man das in der Stadt machen kann und natürlich entkommt man der Luftverschmutzung nicht wirklich). Was einem auf jeden Fall bleibt, wenn man hier lebt, ist die Ungewissheit und die Angst, irgendeinen Abfall als Fake, vergiftetes Zeug oder mit Schwermetallen belastetes Essen zu bekommen. Ja, man lebt wirklich in einer gewissen Angst, die schnell zu einer “Will-ich-gar-nicht-wissen-ist-besser-so”-Einstellung führt.

Bei mir bleibt eigentlich nur der Wunsch, dass mehr chinesische Unternehmen sich von ausländischer (unabhängiger!) Stelle zertifizieren ließen. Der TÜV aus Deutschland ist vor Ort. Da sollte es doch dieses oder jene Qualitäts- und Produktionssiegel geben. Der Verbraucher müsste es fordern und allen anderen (billigen) unzertifizierten Produzenten die Abnahme der Ware verweigern. Ein frommer Wunsch, denn die meisten Menschen hier können sich das nicht leisten. Es ist also zuerst mal an denen, die Geld haben, etwas zu tun. Man darf die Qualität der Ware nicht an der Höhe des Preises messen, denn das wird weitere Produzenten dazu verleiten, einfach den Preis zu erhöhen und dies oder jenes über ihre Ware zu behaupten. Und darüber hinaus hilft nur Wachsamkeit, gesunder Menschenverstand (eine Farm weit draußen aber in der Einflugschneise des Pudong-Airport?) und der Versuch, nicht in Angst und Depression zu verfallen.

*Maß für die Luftverschmutzung in Partikeln von unter 2,5 µm Durchmesser/m³