Ich schätze die Computerzeitschrift c’t vom Heise-Verlag für weitaus mehr als die Berichterstattung über neueste Entwicklungen der Computertechnik. In der Ausgabe 8/2011 vom 28.03.2011 auf Seite 44 zeigt sich, dass das Computermagazin auch immer wieder für investigativem Journalismus gut ist.

Sehen unsere YouTube-Clips bald so aus?

Sehen unsere YouTube-Clips bald so aus?

Nachdem Google’s Streetview im letzten Jahr erfolgreich gezwungen wurde, auf Antrag von Benutzern, Häuser und Gesichter zu verpixeln, soll es nun nach dem Willen unserer Regierung den Tochterunternehmen YouTube und Google Video an den virtuellen Kragen gehen. Das vorgebliche Motiv einer geheimen ministeriumsübergreifenden Arbeitsgruppe ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte seiner Bürger auf den Videoplattformen – ein eher zweifelhaftes Motiv, wenn man die Konsequenzen bedenkt, die sich dem Fall “Regierung vs. Google – die Zweite” ergeben könnten. Aber beginnen wir mal lieber am Anfang:

Worum geht’s…?
Die Umstände, unter denen die c’t an die Hintergrundinformationen zu ihrem Artikel kam, klingen ein wenig wie der Umschlagtext eines Spionageromanes aus der Bahnhofsbuchhandlung. Die Bundesregierung beruft offenbar eine kleine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz und des Inneren und gibt ihr den Auftrag zur Untersuchung der potentiellen Verletzung von Persönlichkeitsrechten ihrer Bürger auf den Videoplattformen YouTube und Google Video. Außerdem soll scheinbar gleich ein Plan und eine Machbarkeitsstudie mitgeliefert werden, die die automatische Verpixelung von Gesichtern in Videos auf Antrag ermöglichen soll. Die Arbeitsgruppe erstellt ein Positionspapier (bzw, dessen Enturf) und faxt dieses aufgrund eines Zahlendrehers versehentlich an einen beherzten c’t-Leser. Der oder die düfte wahrlich überrascht gewesen sein, ein Fax mit dem Titel “Positionspapier der Bundesregierung zur Bekämfung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Videoplattformen im Internet” von der “Arbeitsgruppe Persönliche Rechte im Internet und die Legislative”  in seinem Ausgabefach oder Faxspeicher vorzufinden. Der Hinweis “INTERNES DOKUMENT, NICHT AN DRITTE WEITERGEBEN!” in Versalien wurde jedenfalls von dem Leser ignoriert – für Wikileaks war der Inhalt scheinbar nicht spektakulär genug, stattdessen ging er an die c’t-Redaktion, die sich dem Thema annahm und sich erstmal beim Justizministerium nach der Arbeitsgruppe erkundigte. Erfolglos, denn die Regierung leugnete die bloße Existenz eines solchen Gremiums.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP - offensichtlich) - ist sie die Initiatorin der geheimen Arbeitsgruppe? Bildquelle: Wikipedia, Urheber: # Akriesc, derivative work: Emdee

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP - offensichtlich) - ist sie die Initiatorin der geheimen Arbeitsgruppe? Bildquelle: Wikipedia, Urheber: Akriesc, derivative work: Emdee

Der Inhalt
In dem Entwurf wird von Google gefordert, eine Website einzurichten (ähnlich der für Google Streetview) auf der ein Internetnutzer drei biometrische Fotos in Front-, Seiten und Dreiviertansicht von sich selbst hochladen kann. Diese Bilder soll Google mit allen (!) auf YouTube hochgeladenen Videos gegenprüfen und gegebenenfalls die dargestellte Person verpixeln. Da sich YouTube nicht “mal eben” zu einem bestimmten Zeitpunkt einfrieren läßt, würde laut c’t daraus folgen, dass Google bei jedem neuen Antrag den kompletten Datenbestand neu durchsuchen müsste. Die Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sagte noch Anfang März in einem Interview, dass

…ein Widerspruchsrecht der Bürger gegen unbegrenzte Veröffentlichung ihrer Daten im Internet geregelt werden.

Offenbar ist das jetzt soweit.

Geht das alles überhaupt?
Ja. Die c’t hat’s ausprobiert und dann hochgerechnet. YouTube hat zwar zur Zeit 140 Mio Videos online, aber mit etwas Geschick in der Vorauswahl und 70.000 Rechenkernen sollte es Google möglich sein, alle (!) YouTube Videos innerhalb einer Sekunde nach Personen auf den eingereichten Fotos zu durchsuchen. Die Technik dazu steht wahrscheinlich sowieso schon in den Startlöchern, Google hat sie nur noch nicht freigeschaltet. Die Realisierung wäre also grundsätzlich technisch möglich. Die Frage nach dem Sinn der Aktion und der Vielzahl von rechtlichen Problemen, die sich wie ein Rattenschwanz hinter der Forderung herziehen, bleibt leider in dem Positionspapier unbeantwortet. Da beschleicht einen das Gefühl, dass irgendwer in der Regierung eine unausgegorene Idee hatte, die natürlich sofort auf Kosten des Steuerzahlers auf Machbarkeit hin überprüft wurde, ohne die sich daraus weiter ergebenden Konsequenzen zu bedenken. Man fragt sich, wozu der Aktionismus gegen Google und Youtube (und später denn wohl auch gegen andere Videoportale) gut sein soll.

Wozu das Ganze?
Nicht erst seit Google Streetview sind große Teile der deutschen Bevölkerung sensibilisiert, was den Datenschutz angeht. Das hindert niemanden ernstlich daran, auf dem Microblogg-Dienst Twitter zu veröffentlichen, wann er sich am Hintern gekratzt hat, auf Facebook diversen Unternehmen mit “Orte”  freiwillig die Daten für ein die mögliches Bewegungsprofil zu liefern oder zugunsten eines Gutscheines für einen kostenlosen Hamburgers, seine Kaufinteressen preiszugeben. Aber letztenendes sind dies doch alles Daten, die jeder freiwillig veröffentlicht und die Bundesriegrung fordert doch den Schutz der Persönlichkeitsrechte seiner Bürger auf YouTube Videos, die jeder Hinz und Kunz von ihm oder ihr gedreht haben und ohne sein/ihr Einverständnis veröffentlicht haben kann. Ist das denn nicht gut, wenn der Staat so fürsorglich ist?

Abgesehen von der Frage der technischen Machbarkeit wirft das Positionspapier eine vielzahl von rechtlichen Fragen auf, die gänzlich unbeantwortet bleiben.

  • Wie sieht es bei Mißbrauch aus?
  • Wessen Persönlichkeitsrechte gehen vor, wenn sich zwei Personen zum Verwechseln ähnlich sehen?
  • Wie schnell muss einem Antrag auf Verpixelung nachgekommen werden?
  • Wie verifiziert man die Person, die den Antrag stellt? (Mit dem E-Personalausweis geht das übrigens nicht, bliebe nur das langsame Postident-Verfahren)

Aber entscheident ist doch, die Frage, ob Google überhaupt das Recht hat, Content zu ändern, der nicht von dem Unternehmen selbst erstellt wurde. Schließlich ist YouTube eine Plattform, die wie alle anderen Videoportale weder Urheber ist, noch automatisch irgendwelche Rechte aus dem Upload des Videomaterials ableitet. Zu Bildern von Usern der Google Streetview Community hat sich Google Produktmanager Andreas Türk gegenüber der c’t eindeutig geäußert:

Wir werden keine Zensur an User Generated Content betreiben.

Bleibt letztenendes die Frage der Motivation unserer gewählten Regierung für das Ansinnen, Google zum Verpixeln auf Anfrage zu zwingen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es in erster Linie gar nicht um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger geht, sondern das diese Idee nur vorgeschoben ist, um etwas ganz anderes umzusetzen. Wer sich jetzt mal kurz zurücklehnt, die Augen schließt und sich still fragt: “Was könnte eine Regierung mit einer Staatsverschuldung von gut und gerne 2 Billionen Euro von einem Unternehmen mit einem Wert von 160 Milliarden Dollar (“Teuerste Marke der Welt” – Stand 2010) bloß wollen?” 😉 Die Antwort liegt auf der Hand: Geld!

Im Zuge der Diskussion um Google Streetview scheint die Regierung ein Instrument gefunden zu haben, mit dem sie an dieses Geld kommen will. Das Mittel, das die Regierung aller Erwartung nach gegen dauerhaften Verstoß von Google als Sanktion einsetzen wird, ist eine monatliche Geldbuße. Sogar das Positionspapier der  Bundesregierung gibt schon einen Hinweis auf die denkbare Höhe:

Bei der Bemessung des Bußgeldbetrages ist zu bedenken, dass er einen angemessenen Hemmungseffekt entfaltet.

Wenn man im Hinterkopf behält, dass es für Google schlicht und ergreifend einfacher sein könnte, eine Dauerstrafe zu zahlen, als die Forderungen des Gremiums umzusetzen, liest sich das nach “bis an die Grenze des Machbaren gehen, um möglichst viel Geld aus Google (und den anderen Videoplattformen) rauzuquetschen” – ist ja nicht so, dass die das Geld nicht hätten.” Schade, dass das vorgeschobene Ansinnen, die Rechte des Bürges zu schützen, dabei völlig auf der Strecke bliebe. Irgendwie bleibt da so ein schales Gefühl, wie man es hat, wenn man von einer mobilen Radarfalle geblitzt wird und widerwillig die Strafe zahlt, obwohl weit und breit weder ein Kindergarten oder eine Schule, noch ein Fußgängerüberweg  zu sehen ist und man sich fragt: “Warum gilt hier eigentlich 30km/h?”.

Das Zauberwort der Politik für die dauerhafte Duldung eines Rechtsverstoßes lautet scheinbar “Gewinnabschöpfung”. Der Staat sucht sich ein zahlungspotentes Opfer, leitet aus anderen populären Rechtsvorschriften eine neue Regel ab, und duldet den dauerhaften Verstoß gegen diese Regel gegen Zahlung einer monatlichen Strafe, deren Höhe sich möglichst knapp unterhalb der Kosten für eine Durchsetzung der neuen Verordnung bewegt. Ich persönlich würde das “Schröpfen” nennen oder besser noch “Gewinnabschröpfung”.

Deutschland galt früher als das Land der Dichter und Denker – heute scheinen unsere Politiker weniger daran interessiert zu sein, ihre Bürger wirksam zu schützen, als darüber nachzudenken, die Staatseinnahmen dauerhaft zu erhöhen. Da fragt man sich, ob diese Denker noch ganz dicht sind… 🙂